Friedrichstadt – Marketing ist alles
Wie Ihr wisst, war mein Großvater Charly ein echter Seebär. Er querte 13 Jahre lang die Weltmeere, um danach mit seinem Schiff auf den Kanälen Westeuropas Waren von A nach B zu verschieben. Mein Großvater hat also viel von der Welt gesehen. Nur von Friedrichstadt, der 1621 von Herzog Friedrich III mit großen Erwartungen gegründeten Handelsmetropole dürfte er nie etwas gehört, geschweige denn gesehen haben. Denn die kleine Stadt hat die Erwartungen, welche der Herzog in sie gesteckt hat, nie erfüllen können. Das Projekt war eine Todgeburt, welche nur deshalb in unserer Erinnerung geblieben ist, weil die Stadt von religiös verfolgten Holländern, ganz im Stile ihrer alten Heimat aufgebaut wurde. Kein Wunder also, dass sie sich heute mit dem Titel „die kleine Holländerstadt“ schmückt.
Immer ein Abstecher wert
Wer die Stadt heute besucht, kann die vielen Reminiszenzen an den Niederlanden sehr wohl erkennen. Allerdings ist von allen Eigenschaften, deren sich Friedrichstadt rühmt, die „die kleine“ das mit Abstand zutreffendste. Denn bei all dem Charme, welche die pittoreske Architektur verströmt, das Städtchen ist mit 2500 Einwohnern auch für Schweizer Verhältnisse sehr klein. Mit viel Goodwill könnte man von einem städtischen Dorf sprechen. Einem kleinen.
Warum erzähle ich das so ausschweifend? Weil Friedrichstadt einen Ausflug wert ist. Es ist ausgesprochen hübsch. Aber eben klein. Es ist nicht das Amsterdam des Nordens, sondern einfach nur Friedrichstadt. Eine historisch geprägte Kleinststadt. Wenn man seine Erwartungen wegen des Marketingtitels nicht so hoch hängt, wird man nicht enttäuscht, sondern kann das geniessen was man vorfindet. Einen atmosphärischen Ort, mit älteren Häusern, Grachten, netten Läden und Cafés in denen sich gut Glace und Kuchen essen lässt. Reicht alles nicht um einen ganzen Tag zu füllen, aber die benötigten zwei, drei Stunden sind gut investiert. Ein Besuch der sich lohnt.
Woher kommt der Titel „kleine Holländerstadt“?
Friedrichstadt sollte wie bereits erwähnt eine blühende Handelsstadt werden. Ein Drehkreuz für Waren, auf dem Weg von Indien nach Russland. Mit den reichen Erträgen des Handelsgeschäftes, wollte sich der klamme Herzog Friedrich III eine eigene Einkommensquelle schaffen. Der Lokalfürst litt nämlich darunter, dass in seinem Reich eigentlich alles was Erträge abwarf, seiner Verwandtschaft gehörte. Während er von seinem Vater nur das Land und jede Menge Schulden erbte.
Deshalb die Idee, die religiösen Unruhen in den Niederlanden zu nutzen, um auswanderungswillige Händler anzuwerben, mit ihm einen nordfriesischen Start-up zu wagen.
Aber irgendwie hat es nicht ganz gereicht. Eigentlich war von Anfang an der Wurm drin. Begonnen mit der Handelsdelegation, welche in Russland für den Standort Friedrichstadt werben sollte, sich aber unterwegs zerstritt und in der Folge (zumindest in Teilen) die Pläne des Herzogs hintertrieb. Außerdem stellte sich der spanische König gegen die Pläne. Und zu dieser Zeit führte an den Spaniern kein Weg vorbei. So richtig erstaunen konnte das allerdings wohl niemanden, denn die Spanier herrschten zu dieser Zeit auch in den Niederlanden und waren damit die wirtschaftlichen Gegenspieler zu dem Projekt. Und da waren noch die Zweifel, ob die Eider den Anforderungen an die Schifffahrt tatsächlich voll und ganz genügen würde. Alles in allem zu viele und zu hohe Hindernisse, weshalb nie wirklich etwas aus den Plänen wurde.
Heimweh und enttäuschte Hoffnungen
Die Pläne verschwanden. Geblieben sind die Holländer – zumindest ein Teil von ihnen. Denn natürlich wollte ein anderer Teil nicht kleine Brötchen backen und ist, nachdem auch in den Niederlanden so etwas wie Religionsfrieden entstanden ist, flugs wieder zurück in die alte Heimat gereist. So etwas kenne ich aus der Schifffahrt. Ein Teil der Mannschaft sehnt sich immer nach dem Heimathafen, während der Rest nicht genug Wasser zwischen sich und den alten Geschichten bekommen kann…
Ja, ja die Religion. Ich weiss nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber die Niederländer, welche sich der alte Friedrich geangelt hat, waren zumeist Religionsflüchtlinge. Denn etwas anderes wie Religionsfreiheit hatte der Herzog nicht zu bieten. Die Kassen waren ja wie gesagt leer. Also blieb ihm nicht viel anderes übrig, als einer religiösen Minderheit, welche in ihrer calvinistischen Heimat unter einem schlechten Standing litten, ein Angebot zu machen, welches diese nicht ausschlagen konnten. Die religiöse Splittergruppe, welche sich auf den Weg nach Nordfriesland machte, hatte sich nichts anderes zuschulden kommen lassen, als die calvinistische Determinationslehre leicht zu modifizieren. Die Remonstranten – so nennt sich diese Religionsgruppe – glaubten nicht an die reine Vorbestimmung, sondern hingen der absonderlichen Idee nach, man könne durch ein rechtschaffenes Leben etwas an seinem Verhältnis zu Gott beitragen… Religiöse Spinner eben.
Nicht wirklich ein Schmelztiegel
Zurück zur Religionsfreiheit. Diese war dafür verantwortlich, dass sich in der Folge noch weitere Religionsgemeinschaften in Friedrichstadt ansiedelten. Noch heute sind in der kleinen Stadt vier Kirchen zu sehen. Die fünfte, die Synagoge, wurde im Zuge der Naziherrschaft zerstört und später als Kultur- und Gedenkstätte wieder aufgebaut. Juden gibt es in der Stadt aber keine mehr.
„Friedrichststadt ein Ort der religiösen Toleranz“ ist auch so ein Label, mit welchem sich die Stadt gerne schmückt. Ist schön anzuhören, entspricht in der Praxis natürlich nicht ganz der Realität. Es ist eben wie auf einem Schiff: Zwar sitzen alle im selben Boot, aber die Mannschaften vom Ober- und Unterdeck essen nicht am selben Tisch…
Charly, mein Großvater, war übrigens Heizer. Das nur nebenbei.
Die Markenzeichen der Stadt
Zurück zur Stadt, den Holländern und der Architektur. Tatsächlich haben sich die Einwanderer eine neue Heimat nach alten Mustern gebaut. Vieles, aber längst nicht alles, erinnert deshalb an die alten Niederlanden. Ausgerechnet das, was als besonders typisch gilt – die Giebelhäuser am Marktplatz – sind jedoch in dieser Form kaum hundert Jahre alt und müssen als Plagiat angesehen werden. Egal, sie sehen wirklich hübsch aus. Ganz sicher original sind jedoch die Grachten, welche die Gründerväter rasch nach ihrem Eintreffen eingerichtet haben.
Apropos Giebelhäuser und Marktplatz. Das Haus zu den drei Rosen steht auch dort. Man erkennt es an der Hausmarke, welche über der Eingangstüre hängt. Hausmarken sind so ein typisches Friedrichstädter Ding. Man findet sie in jeder Form und in jedem Alter an den vielen Häusern des Zentrums. Schon deswegen lohnt es sich durch die kleine Innenstadt zu schlendern und sich die kleinen Kunstwerke anzuschauen. Manche erzählen von der Geschichte des Hauses, andere von der Stadt und wiederum eine Kategorie erzählt gar nichts, sondern ist einfach nur schön.
Die kleine Holländerstadt hat Überraschendes zu bieten
Das Dreirosen ist unser Haus und beherbergt einen kleinen Laden, auf welchen ich an anderer Stelle noch zu sprechen komme. Unsere Hausmarke ist ein kleines Kunstwerk von Doreen Stümpel, einer der beiden Keramikerinnen in der Stadt. Die andere ist Maria Ziaja von Tonalto. Beide Ateliers möchte ich Euch ans Herzen legen. Nicht allein wegen der Keramik, sondern wegen den schönen Häusern. Diese sind zwar – im Gegensatz zu unserem Rosen-Huus – nicht auf Wikipedia zu finden*. Das liegt aber nur daran, dass unser Haus Teil jenes Ensembles ist, welche der Stadt als Wahrzeichen dient. Schön sind sie aber auch. Wenn ich ganz ehrlich bin, sind sie sogar noch etwas schöner.
Aber Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Und weil dem so ist, finden alle Besucher der „Stadt“ einen Flecken, der ihnen ganz besonders gefällt. Denn Vielfalt ist etwas, was dieser kleine Fleck tatsächlich zu bieten hat. Nur wirbt niemand damit.
Etwas Seemannsgarn zum Abschluss
Die örtliche Tourismuszentrale wirbt ja wie gesagt gerne mit dem Label „die kleine Holländerstadt“. Tatsächlich ist der Ort aber eher dänisch, wie holländisch. Denn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gehörte die Region zum Königreich Dänemark.
Im 19. Jahrhundert gab es verschiedene Versuche, die Region von den Dänen zu befreien. Etwa im Jahr 1850, als Holsteinische Separatisten die Stadt mit zwei Kanonenbooten angriffen und zu einem guten Teil in Schutt und Asche schossen. Auch unser Haus ist ein Opfer dieses Freiheitskampfes geworden, weshalb nur noch das Hinterhaus als historisch bezeichnet werden kann. Das Vorderhaus ist relativ neu und sein Aussehen wurde erst um die Jahrhundertwende auf Holländisch getrimmt…
Es ist irgendwie witzig, dass die Stadt ihr heutiges Aussehen weniger den Holländern, sondern mehr den Dänen verdankt, welche Friedrichstadt verteidigt und tapfer gehalten haben. Auch witzig finde ich , dass die Friedrichstädter hochtrabende Pläne in Sachen maritimer Handel hatten. Die einzigen beiden Schiffe von Bedeutung, welche sich der Stadt genähert haben, aber zwei Kanonenboote waren, welche Friedrichstadt bei dieser Gelegenheit beinahe niedergebrannt hätten.
* Das stimmt so nicht ganz. Das Fünf-Giebel-Haus, in welchem Doreen und Jan Stümpel ihr Atelier haben, ist – wenngleich nicht als Einzelhaus – ebenfalls erwähnt.
Tipp:
Nein, man braucht für Friedrichstadt keinen ganzen Tag. Der Ort ist klein und übersichtlich. Trotzdem lohnt es sich, hier Quartier zu beziehen. Wer das Land zwischen den zwei Meeren erkunden will, muss sich bewegen. Da ist doch ein Ort, welcher eine schöne, ruhige Wohnumgebung mit guter Infrastruktur bietet und sehr zentral liegt, doch genau das Richtige. Zumal man hier für sehr schöne Übernachtungsmöglichkeiten deutlich weniger bezahlen muss, wie an den strandnahen Ferienorten.
Und für einen schönen Spaziergang am Abend, ist die kleine Holländerstadt jederzeit gut.
Besondere Unterkünfte:
Die kleine Holländerstadt in der Nachlese
Die kleine Holländerstadt: Schön gescheitert
Die Stadtgeschichte: Das Stadtarchiv und die Gesellschaft für Stadtgeschichte
* Das stimmt so nicht ganz. Das Fünf-Giebel-Haus, in welchem Doreen und Jan Stümpel ihr Atelier haben, ist – wenngleich nicht als Einzelhaus – ebenfalls erwähnt.